21. Oktober 2009

Mittwochspost

Serbische Nachkriegsliteratur besetzt die ‚Neuen Medien’
„Kunst verändert sich mit dem Leben“

sagt Marko Vidojkovic und spricht für die junge Generation serbischer Autoren. Angetreten, ihre Kriegserfahrungen zu verarbeiten und mit der jüngeren Vergangenheit abzurechnen, suchen sie nach einer neuen Formensprache. Mit den von früheren Radio-Rebellen gegründeten Medienimperium B92 haben sie starke Verbündete (…)

Eine Generation, die es verstanden hat, dass Literatur im Medienzeitalter die Medien für ihre Zwecke nutzen kann und muss: „Die Kunst verändert sich mit dem Leben. Aber viele Autoren verändern sich nicht. Und so läuft das Leben an ihnen und ihren Büchern vorbei. Das Leben, das sind die Leser. Ich kann also morgen nicht so schreiben, wie ich heute schreibe und dann jammern, dass sich meine Bücher schlecht verkaufen. Sie haben einfach nicht begriffen, dass auch gute Literatur den Marktgesetzen folgt, dass man für die Verbreitung und den Verkauf von Kultur etwas tun muss.“
Die neue Generation der Autoren beherrscht die Klaviatur der Medien sehr gut. Und sie haben in Serbien einen starken Verbündeten. Der hat sein Hauptquartier drüben auf der anderen Seite der Donau. Dort also, wo Marko Vidojkovics Geschichten spielen - zwischen den schrundigen Klüften der Betongebirge Neu-Belgrads, den kariösen Hinterlassenschaften des Realsozialismus mit ihren bröckelnden Balkonen, deren traurige Blöße langsam verdeckt wird von den aufstrebenden Allerweltsfassaden moderner Bürogebäude. Hier hat B92 sein neues Domizil aufgebaut. Aus dem Radiosender, der einst in einer Art Guerilla-Taktik maßgeblich am Sturz Milosevics beteiligt war, ist längst ein kleiner Medienkonzern geworden. Nun residieren die einstigen Radiorebellen gediegen in einem Gebäude mit viel Stahl, Glas und blankpoliertem Stein.

Das Untergrund-Imperium B92

Was kaum jemand weiß, neben einem Fernsehsender und einem Musiklabel hatte B92 schon früh ein kleines Verlagshaus gegründet, das heute mit wenigen anderen die Keimzelle eines neuen progressiven Verlagswesens in Serbien bildet. Den Namen aus der Zeit der Arbeit im Untergrund, sagt Leiterin Lydia Kusovac, habe der Verlag aber behalten:
„Wir haben den Samisdat-Verlag schon 1993 gegründet, weil wir die Grundidee von B92 auch auf den serbischen Buchmarkt ausdehnen wollten. Uns geht es darum, in all den gesellschaftlichen Bereichen präsent zu sein, in denen wir auf die Entwicklung eines selbstkritischen und staatsbürgerlichen Bewusstseins in unserer Gesellschaft Einfluss nehmen können. Neben belletristischen Werken geben wir also auch eine Vielzahl politischer und gesellschaftlich engagierter Publizistik heraus.“

Der Erfolg, den der Verlag mit dieser Sparte hat, beweist – es gibt sie noch, die kritische Öffentlichkeit, die nach Informationen abseits staatlicher Propaganda lechzt. Da ist das inzwischen wegen großer Nachfrage immer wieder aufgelegte Buch zweier B92-Journalisten mit dem Titel „Kriminalität, die Serbien veränderte“ nur ein Beispiel. Doch neben solchen Sachbüchern ist der Samisdat-Verlag auch mit seiner Belletristik-Sparte höchst erfolgreich. „Wir geben im Jahr vielleicht 14 bis 20 Bücher heraus. Während es für andere Verlage unerschwinglich ist, die eigenen Bücher zu bewerben, wird bei uns jedes Buch mit einer Medienkampagne des eigenen Hauses begleitet. So gelang es uns immer, für unsere Bücher die notwendige Aufmerksamkeit bei den Lesern zu erreichen“, erklärt Lydia Kusovac.

Bestseller: Marko Vidojkovics Roman „Krallen“

Die übliche Startauflage für ein Buch liegt in Serbien zur Zeit etwa bei 500 Stück. Ab 1.000 verkauften Exemplaren gilt es bereits als Bestseller. Welchen Erfolg die Kooperation von Sender und Verlag hat, beweist auch Marko Vidojkovics vierter Roman. Die Startauflage des Buches mit dem Titel „Krallen“ betrug bereits 1.000 Exemplare. Infolge einer dreiwöchigen Werbekampagne über den Sender wurden bis heute mehr als 15.000 Bücher verkauft. So wurde Vidojkovics Roman vor einigen Jahren in Serbien neben dem „Da-Vinci Code“ von Dan Brown zum meistverkauften Buch.

Doch der Verkauf allein sagt in Serbien noch nicht wirklich etwas über den Erfolg eines Buches. In einem Land, in dem sich nicht alle Bücher leisten können, muss man, um den Erfolg eines Autors annähernd erfassen zu können auch in die Statistiken der Belgrader Nationalbibliothek schauen, in der die Daten aller Landesbibliotheken erfasst sind. „Krallen“ wird hier als eines der meistentliehenen Bücher in Serbien nach dem Krieg geführt.

„In meinen Helden gibt es sehr viel Wut“

Marko Vidojkovic rätselt selber, was den Erfolg seines Romans ausmacht. „Der Grund ist wahrscheinlich der, das dieses Buch, das in der Zeit der Studenten- und Bürgerproteste spielt, auch viel über das Heute und Jetzt aussagt. In meinen Büchern, in meinen Helden gibt es sehr viel Wut. Ich halte Wut für eine gute Sache – für eine gesunde Emotion in einer ungesunden Situation. Ich weiß nicht, was mich trieb, aber ich wollte bei jedem wieder dieses Gefühl wecken, dass wir es schon einmal geschafft haben, eine Regierung zu stürzen, dass wir den Mächtigen zeigen können, von wem die Macht wirklich ausgeht.“
Das Interesse an solchen Themen zeigt, dass vor allem junge Leser in Serbien einen neuen Typ literarischer Helden akzeptieren. Figuren, denen Heldenmythen zunehmend fremd werden. Und es scheint, dass gerade jene Autoren, die selbst aus dem Belgrader Underground stammen, am ehesten den Ton dieser neuen Generation serbischer Leser treffen.

Vladimir Arsenjévic: „Cloaca Maxima“

Neben dem jüngeren Marko Vidoijkovic gehört dazu auch der heute 44jährige Autor Vladimir Arsenjévic, dessen kleiner Rende-Verlag ebenfalls zum Netzwerk progressiver Verlage in Serbien gehört. „Ich bin nie richtig zur Schule gegangen“, sagt er lachend und seine Stimme knarrt ein wenig wie seine Lederjacke. „Ende der 70er Jahre breitete sich in Belgrad die New Wave- und Punkszene wie ein Lauffeuer aus. Das hieß: Schule schwänzen, abhängen, Mist bauen. Zugleich war das Aufkommen dieser Szene damals untrennbar verbunden mit dem Tod von Tito, denn plötzlich gab es eine merkwürdige Form von Freiheit. Alle Beteiligten waren sehr jung. Ich war 15 damals.“ In seinem inzwischen in zehn Sprachen übersetzten und bei Rowohlt unter dem Titel „Cloaca Maxima“ erschienenen Roman, schrieb Vladimir Arsenjévic früh über eine geopferte Generation. Eine Generation, die es ablehnt, den Krieg als ihr Schicksal zu akzeptieren, ihm aber trotzdem nicht entgeht.
Ich hatte Mitleid mit uns allen. In einer jäh aufblitzenden Vision, die das normale Straßenbild vor meinen Augen zerriss, sah ich uns alle fliehen, während sich der Boden unter unseren Füßen mit furchtbarem Geräusch auftat und aus den Tiefen der unerträgliche Gestank der Jahrhunderte emporstieg, die auf würdige Weise zu nutzen wir in unserer Trägheit versäumt hatten; ein zuckender Krake grinste uns entgegen, gleichgültig für das Entsetzen, dass unsere Bewegungen lähmte, für unseren Wunsch, weit weg von hier zu sein. Während eines teuflischen Bacchanals, das eine Sekunde dauerte, verschwanden willkürlich herausgegriffene Opfer in diesem Krater aus Fleisch. Es waren viele. Alle, die sich nicht rechtzeitig hatten in Sicherheit bringen können, alle die es traf, wurden fortgetragen wie Papierdrachen, die uns von den Novemberstürmen aus den Händen gerissen werden. (aus: Vladimir Arsenjevic „Cloaca Maxima“, Rowohlt-Berlin)

Rebellen in fragmentierten Gesellschaft

Sarkastisch, selbstironisch und doch mit unüberhörbarer Verzweiflung beschrieb Arsenjévic das Leben in Belgrad Anfang der 90er Jahre. Das Erfolgsgeheimnis von Autoren wie ihm und Vidojkovic liegt in ihren literarischen Helden selbst. Sie verkörpern den Underground, den Widerstand gegen Gleichschaltung und nationale Programme. „Meine Figuren“, sagt Arsenijevic, „sind stets Rebellen wider die Macht. Ich war immer ein Einzelgänger. Ich gehöre zu keiner Gruppe. Ich versuche als Schriftsteller und Verleger, meine Ideen in die Gesellschaft zu rufen. Wenn es überhaupt ein kulturelles Leben in Belgrad gibt, so glaube ich, ist es noch in einem sehr armseligen Zustand. Der größte Unterschied zu früher ist doch, dass sich die Leute damals noch geäußert haben: Für Milosevic oder gegen Milosevic. Für Djindic oder gegen Djindic. Weil es diesen Austausch gab, war die Situation irgendwie erträglicher als heute. Und das, obwohl die Katastrophe damals viel größer war als heute. Heute ist alles fragmentiert. Und die Literatur leidet darunter am meisten.“

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